Als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeiten Sie am Institut für Biochemie an der Charité. Was sind Ihre Forschungsschwerpunkte?
Ich habe Biologie mit den Schwerpunkten Humanbiologie, Genetik und Zoologie studiert und später im Bereich der Molekularbiologie promoviert. Genauer gesagt habe ich erforscht, wie Stoffwechselwege dynamisch auf Störfaktoren reagieren. Jetzt unterrichte ich Biochemie für Medizinstudierende und unterstütze die Arbeitsgruppe beim wissenschaftlichen Schreiben. Das gibt mir mehr Raum, mich nebenbei auf meine ehrenamtliche Arbeit bei Scientist Rebellion zu konzentrieren. Als ich begann, mich intensiver einzulesen, wie nah wir schon an Klima- und ökologischen Kipppunkten sind, wusste ich, dass ich diese entscheidenden Jahre mehr tun muss, als einfach nur meinem persönlichen Alltag nachzugehen – auch wenn ich das lieber täte.
Scientist Rebellion ist ein Netzwerk, in dem ca. 1000 Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen aus mehr als 25 Ländern aktiv sind. Was sind Motivation und Ziele dieser Bewegung?
Das Versagen der Entscheidungsträger*innen in Politik, Wirtschaft, Journalismus und in weiten Teilen der akademischen Welt, den Klimanotstand ehrlich zu benennen und anzugehen, hat dazu geführt, dass das Problem immer weiter verschleppt wird und sich das Zeitfenster, in dem wir einen globalen Kontrollverlust abwenden können, rapide schließt. Scientist Rebellion möchte wissenschaftliche Institutionen und die dort tätigen Menschen dafür mobilisieren, endlich angemessen und authentisch auf diese bedrohliche Realität zu reagieren. Wenn diejenigen, die am meisten über die Krise wissen, nüchtern weitermachen wie bisher, wie können wir von anderen erwarten, die Dringlichkeit der Krise wirklich zu verstehen und den notwendigen, tiefgreifenden Wandel zu unterstützen? Daher ist es bei Scientist Rebellion unser Ziel, möglichst viele Wissenschaftler*innen und Akademiker*innen für verschiedene Aktionen des friedlichen zivilen Ungehorsams zu gewinnen. Wissenschaftlich abgesicherte Fakten können so eindringlich und emotional transportiert werden. Wenn wir aus unserer alltäglichen Komfortzone heraustreten, können wir besser verdeutlichen, wie wichtig es uns ist, dass die Bürger*innen den Ernst der Lage begreifen. We are walking the talk. Außerdem senden wir ein deutliches Signal Richtung Politik, die immer noch, wie der UN-Generalsekretär António Guterres es ausdrückte, mit dem Fuß auf dem Gaspedal Richtung Klimahölle fährt. Auch unsere eigenen Institutionen und Universitäten müssen sich viel klarer positionieren und die Politik, die trotz besseren Wissens die Krise weiter befeuert, delegitimieren.
In welcher Rolle sehen Sie sich als Wissenschaftlerin beim Thema Klimakrise?
Die Ausbildung, die ich genießen durfte, ist ein Privileg, welches mir unsere wohlhabende Gesellschaft ermöglicht hat. Privilegien gehen immer mit Verantwortung einher. Das große politische Versagen in der Klimakrise verlangt von mir als Wissenschaftlerin, dass ich diese Verantwortung anerkenne und mich nicht nur auf meine direkte Arbeit beschränke, sondern mich auch gesellschaftlich engagiere und alles versuche, was gewaltfrei möglich ist, um das politisch unterstütze fossile „Weiterso“ aufzuhalten, die fossilen Konzerne, die von ihnen lobby-beeinflusste Politik und Superreiche als Schuldige zu benennen und Wege aus der Krise aufzuzeigen. Außerdem ist es meine Aufgabe, meinen Mitmenschen mit Ehrlichkeit und maximaler Transparenz zu begegnen – also offen zu kommunizieren, wie schlimm es jetzt schon ist, klarzustellen, was wir alles unter dem aktuellen Kurs verlieren werden, und mit welcher Dringlichkeit gehandelt werden muss, um eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Wenn wir aus Angst, den Menschen zu viel zuzumuten, abgespeckte Versionen der Wahrheit erzählen, betrügen wir sie und nehmen ihnen die Möglichkeit, sich angemessen für ihre Zukunft einzusetzen.
Das Interview wurde im April 2023 geführt.
Bild: Nana-Maria Grüning