Bei Ihrem Projekt „Klanglandschaften – Musik sehen | Natur hören. Ein Festival in Zeiten des Klimawandels“ möchten Sie einen Dialog zwischen zeitgenössischer Musik und Naturwissenschaften anstoßen sowie begleiten. Welche Ziele verfolgen Sie damit in welcher Art von Formaten?
Gegenwartsmusik verhandelt aktuelle Themen der Zeit und eröffnet in ihren besten Momenten einen Blick in ungeahnte Zukünfte. Unsere Gegenwart ist ernst: Der Mensch hinterlässt im Anthropozän seinen Fußabdruck durch Raubbau, Überproduktion und Ressourcenverschwendung. Gleichzeitig wird immer klarer: „Mensch“ und „Natur“ bilden kein Gegenüber, sondern sind untrennbar und wechselseitig miteinander verbunden. Diese Verbundenheit hat die musikalische Moderne seit den 1970er Jahren klanglich aufgenommen. Unterschiedliche Formate wurden entwickelt, die Landschaft und Natur künstlerisch reflektieren, z.B. Landschaftskompositionen, Soundwalks, Fieldrecording-Kompositionen, Konzertinstallationen. Mit den „Klanglandschaften“ schaffen wir einen Ort für die Präsentation solcher Formate und zugleich Raum für neue Auftragswerke. Diese Arbeiten basieren in der Regel auf musikalisch-ästhetischen Kriterien mit Naturklängen als Materialfonds und Landschaft als Referenzraum. Um das hörende Bewusstsein auf Problematiken des Klimawandels zu fokussieren, nutzen wir vier Strategien:
1. Thematisierung der Festivals, worauf sich alle Programmbeiträge beziehen, z.B. 2022 „Gefährdungsräume Wald und Wiese“.
2. Koppelung von Naturführungen, Workshops oder Vorträgen mit musikalischen Formaten.
3. Nutzung von Naturräumen als „Bühne“, so dass akustische und visuelle Dialoge zwischen Musik und Natur zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen.
4. Da bis jetzt Erkenntnisse, Problematiken usw. aus Klima- und anderen Ökowissenschaften in genannten musikalischen Formaten kaum vorkommen, initiieren wir mit den „Klanglandschaften“ die aktive Zusammenarbeit beider Seiten: von musikalischer Kreativität und Naturwissen.
Das ist Neuland. Das heißt: Entwicklung von Partnerschaften zwischen Komponist*innen, Musiker*innen, Klangkünstler*innen und Naturwissenschaftler*innen auf der Basis gemeinsamer Fragestellungen, die zu erarbeiten sind. Biolog*innen können z.B. anhand der Form von Blütenkelchen Rückschlüsse auf das Aussehen ausgestorbener Vogelarten ziehen – eine Komponist*in kann mit ihren vokalen Mitteln deren Stimmen vor dem Verklingen bewahren.
Die Künste – und dabei besonders Musik – schulen die Wahrnehmung und eröffnen neue Horizonte. Welche Rolle können sie dabei spielen, die Problematiken des Klimawandels erfahrbar zu machen?
Am Schluss der Geschichte „Josa und die Zauberfiedel“ zieht der kleine Junge in die Welt hinaus und verbessert sie durch seine Musik. Diese optimistische Aussage enthält einen wahren Kern. Musik kann den Klimawandel zwar nicht aufhalten oder bremsen, aber sie kann dessen Folgen bewusster machen; entsprechende Musik-Landschafts-Erlebnisse sorgen für Nachhaltigkeit in den Köpfen der Menschen. Nur die Kunstform Musik hat durch Klang und Geräuschklang mit der Natur eine „gestaltete“ Gemeinsamkeit. „Klanglandschaften“ lenken die Aufmerksamkeit der Menschen auf diese klangliche Seite von Natur und fokussieren sie als besondere Wahrnehmungsform von Natur und Landschaft: für ihre Schönheiten und Gefährdungen. Aus diesem akustischen Naturbewusstsein heraus wollen wir Auftragswerke vergeben zu Themen, wie dem Klimawandel und seinen Folgen, z.B. Artensterben, Unwetter, Dürre, Trockenheit, Überschwemmungen. Durch Auftragswerke verankern wir solche musikalischen Auseinandersetzungen stärker im aktuellen Musikschaffen. Klänge und Soundscapes können hörbar machen, was nicht sichtbar ist: den Trockenstress von Bäumen, sich ausdünnende Vogelpopulation in bestimmten, über Jahre aufgenommenen Regionen, das Schmelzen und Zerbersten des arktischen Eises u.a.. Zu einer wichtigen Technik hat sich die Sonifikation entwickelt, die Verklanglichung von naturwissenschaftlichen Daten (z.B. des Klimawandels), aus denen künstlerisch gebaute Installationen oder Kompositionen entstehen. Ein weiteres, sehr junges Gebiet ist die Ökoakustik, durch die neue Felder einer „künstlerischen Wissenschaft“ und einer „wissenschaftlichen Kunst“ (Marcus Maeder) entstanden sind: Klangprozesse (z.B. der Trockenstress der Bäume) ermöglichen wissenschaftliche Erkenntnisse, künstlerische Medieninstallationen auf der Basis solcher Materialien eröffnen neue Perspektiven auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse. „Klanglandschaften“ sollen ein Konzentrationsort für all diese Formate sein. Damit entsteht ein Ort des Austauschs und der Diskussion zwischen den beteiligten Künstler*innen und Wissenschaftler*innen über den Klimawandel.
Mit wem kooperieren Sie bereits in Berlin und Brandenburg und welche Unterstützung wünschen/erhoffen Sie sich für die weitere Planung?
„Klanglandschaften“ sind als Projektgruppe Musik im Förderverein Naturpark Barnim organisiert. Kooperationen hinsichtlich der Programmentwicklung bestehen mit dem Naturpark Barnim, dem Biologen Tim Peschel (Büro Ökologie & Umwelt), mit dem Internationalen Bieneninstitut Hohen Neuendorf und dem Thünen-Institut für Waldökosysteme Eberswalde. Mit diesen Institutionen ist der Kontakt aufgebaut worden, um entsprechende Fachleute für Vorträge oder Führungen einzuladen. Um Landschaftsraum als künstlerischen Präsentationsraum zu nutzen, arbeiten wir außerdem mit der Unteren Naturschutzbehörde Berlin und Barnim, den Förstereien Hobrechtsfelde, Borgsdorf und regionalen Verwaltungen auf Gemeindebasis zusammen. In Planung befindet sich ein erstes künstlerisches Projekt für 2022 zur Zusammenarbeit von Student*innen des Masterstudiengangs Soundstudies der UdK Berlin mit Student*innen der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Um die „Klanglandschaften“ in skizzierter Weise weiter entwickeln zu können, benötigen wir im nächsten Schritt vor allem Unterstützung von naturwissenschaftlichen Institutionen aus den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz in Richtung ideeller, planerischer wie auch finanzieller Kooperation, aber auch weiterhin aus Politik und Kultur. Die drei zurückliegenden Jahre haben gezeigt, dass dies auf der Basis einer reinen Projektfinanzierung, wie bisher, kaum möglich ist.
Das Interview wurde im Dezember 2021 geführt.
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Bild: privat